Bruno Klaus Lampasiak. Naturfreund sein heißt Mensch sein: Naturfreunde im Widerstand 1933 bis 1945. Berlin: Naturfreunde-Verlag Freizeit und Wandern, 2013. 320 Seiten. € 16.80
Der vermutlich größte Einschnitt in der Geschichte der deutschen Naturfreunde war das Verbot während der NS-Gewaltherrschaft – ein Ereignis mit fatalen Auswirkungen auch auf den Rest der internationalen Bewegung.
Hier weiterlesen .. oder zum download: Naturfreunde im Widerstand
Nach dem 2. Weltkrieg existierten die Naturfreunde als Verband faktisch nur mehr in der Schweiz und in den USA. Frag- und klaglos haben die Mitglieder das nicht hingenommen und es gab eine beachtliche Zahl von Naturfreunden, die sich mit dem nationalsozialistischen Gewaltsystem nicht abfinden wollten. Im Sammelband „Naturfreunde im Widerstand“ wurden aus Lebenserinnerungen, Gedenk- und Niederschriften viele Begebenheiten und Einzelschicksale dokumentiert, die dies belegen. Stellvertretend für die Gesamtheit des NaturFreunde-Widerstands hat Bruno Klaus Lampasiak für dieses bedeutsame Stück Erinnerungsarbeit Informationen aus allen Teilen Deutschlands zusammengetragen. Da die meisten Beiträger jedoch regional in und um Berlin leben und aktiv sind,[1] gibt dies zwar der Darstellung des Widerstands im süd- und westdeutschen Bereich etwas weniger Raum, ist aber doch gleichzeitig Aufforderung an historisch Interessierte anderswo, es dem Band gleich zu tun. Seinen auch internationalen Charakter erhält das Buch, weil es sich zusätzlich in Teilen auf Begebenheiten in Österreich und der Tschechoslowakei bezieht, im Einzelnen sogar auf Ereignisse in Schweden und Holland Bezug nimmt.
Dabei ist der Band keineswegs allein ein Nachschlagewerk zu Personen, Ortsgruppen und Gauen zwischen 1933 und 1948. In seinem einleitenden Aufsatz zum politischen Wirken des Verbands und zu seiner Zukunft arbeitet Michael Müller den Unterschied zu reinen Umweltverbänden heraus: „Wir stellen uns den Herausforderungen, die eng mit dem historischen Konflikt zwischen Kapital und Arbeit verbunden sind.“ (S. 12) Exakt dieses Selbstverständnis war es letztlich, das die Naturfreunde – wie den Rest der Arbeiterbewegung – ins Fadenkreuz der politischen Rechten rücken ließ. Bruno Lampasiak betont in einem weiteren Einleitungstext, dass der Widerstand der Naturfreunde gegen die Nazis kaum isoliert zu beschreiben ist – der Großteil der Widerständler war gleichzeitig in Parteien, Gewerkschaften und Jugendverbänden tätig, so dass eine solche Trennung rein theoretischen Charakter hätte.
Wie schwer sich die Verbandsspitzen im Umgang mit den neuen Machthabern von 1933 taten, beschreibt Hans-Gerd Marian. Das Naturfreundevermögen zu retten hieß, sich den „neuen“ Umständen in der einen oder anderen Weise anzupassen, auf die Gefahr hin, durch sie adaptiert zu werden. Konkret beschrieben wird dieses Dilemma anhand von Mitgliedern der damaligen – sozialdemokratischen – Reichsleitung, die (vergeblich) vor allem das Häuserwerk retten wollten, indem sie es in gleichgeschaltete Wanderverbände und Jugendherbergswerke zu integrieren suchten. Dabei kam es zu erheblichen politisch-praktischen Differenzen mit Teilen der Basis.
Die folgenden Kapitel erzählen – in teils recht persönlicher Weise – vom Schicksal von Naturfreunden, „die aktiv Widerstand geleistet haben oder sich nach dem Kriege in herausragender Weise an der Aufarbeitung der Gräueltaten der Nationalsozialisten beteiligt haben.“ (S. 56) Neben den späteren Spitzenpolitikern Willy Brandt und Bruno Kreisky gehörten dazu auch andere Personen historischen Interesses, wie z.B. der Hitler-Attentäter Georg Elser, Kurt Eisners Sekretär Felix Fechenbach oder Bert Brechts Mitarbeiterin Margarete Steffen, ebenso wie für die deutschen Naturfreunde zentrale Einzelpersonen (von Fritz Lamm über Fritz Rück bis hin zu Ernst Rohm) und Familien (so die Familien Buckpesch und Lampasiak). Teils längere Zitate aus originalen Quellen oder von Interviews erhöhen die Authentizität der Darstellungen.
Kapitel 4 schildert den Widerstand von Verbandsgliederungen, seien es Gaue oder Ortsgruppen. Hier wird deutlich, wie unterschiedlich im Einzelnen die regionalen Umstände waren. Wo es möglich war, traf man sich trotz des Verbots selbst da weiter, wo aktive Widerstandsaktionen nicht (mehr) stattfanden. Genau dies war die Voraussetzung, dass in einigen Regionen schon unmittelbar nach der Befreiung 1945 begonnen werden konnte, den Verband vor Ort und regional wieder aufzubauen.
Auf den Seiten zum Widerstand in Österreich (273-290) wird deutlich, wie sich trotz bereits früher Behinderungen durch das Dollfuß-Regime mit dem „Anschluss“ der Zugriff auf den Verband radikalisierte. Sie dokumentieren wesentliche Widerstands-Aktivitäten im Land. Der Teil zur Tschechoslowakei (291-300) stellt unter anderem dar, wie bis zum Einmarsch der Deutschen 1939 die dortigen Naturfreundehäuser als Widerstandsnester gegen die Nazis und Flüchtlingslager für Verfolgte dienten. Auf den S. 303-310 bietet der Band dann ausgewähltes Bildmaterial zur zeitgenössischen Geschichte der Naturfreunde-Bewegung.
Die doppelte Leistung des Buchs ist es, im Großen ein Überblicksband zum schwärzesten Kapitel der Naturfreunde-Geschichte vor allem in Deutschland zu sein, aber gleichzeitig auch im Kleinen ein vielseitiges Nachschlagewerk zu einzelnen Personen und Gliederungen von 1933 bis in die Nachkriegszeit. Ein siebenseitiges Personenregister erleichtert die Handhabbarkeit des Buchs.
In einer Gesamtsicht liegt die Bedeutung des Bands damit keineswegs allein in seinen vielfältigen Beiträgen zur Geschichtsschreibung im Verband selbst, sondern liefert darüber hinaus gültige, eindrückliche Studien zur Zeitgeschichte – und das ganz wesentlich durch einen Blickwinkel von der Basis heraus, also genau von da, wo der Widerstand konkret wurde.
Peter Poelloth
Kraußstraße 3
D-90443 Nürnberg
poelloth@naturfreunde-bayern.de
[1] In diesem Sinne ergänzt der Band in hilfreicher Weise die biografischen Skizzen in Oliver Kerstens Die Naturfreundebewegung in der Region Berlin-Brandenburg 1908-1989/90 (Berlin: Naturfreunde-Verlag Freizeit und Wandern, 2007). Kersten gehört selbst zu den Beiträgern des Buchs.